Die Flüchtlingszuwanderung, der IS-Terrorismus, die Russland-Politik, die Bundeswehr im Auslandseinsatz - über diese brisanten Themen sprachen Brigade-General Kai Ronald Rohrschneider sowie der EU-Abgeordnete Elmar Brok auf Einladung der CDU Lippe im Gemeindehaus der Kirchengemeinde in Müssen. Dass ein General und ein hochrangiger EU-Politiker in einer gemeinsamen Sitzung über aktuelle politische Themen diskutieren, „dürfte in der neueren Geschichte wohl einmalig sein“, freute sich die CDU-Kreisvorsitzende Kerstin Vieregge über diese außergewöhnliche Veranstaltung. Was die interessierten und im Anschluss eifrig diskutierenden Besucher zu hören bekamen, waren Erfahrungswerte und Einschätzungen zweier Führungspersönlichkeiten, die sich seit Jahren an exponierter Stelle engagieren.
„Unsere westliche Politik ist werteorientiert. Deshalb strahlt sie automatisch in Regionen aus, die derzeit ein Identitätsproblem haben – wie der Islamismus“, erklärte General Rohrschneider und folgerte: „Egal, wie der Westen sich bei dieser komplexen Konfliktlage in den betroffenen Staaten verhält, er wird automatisch als Gegner gesehen“. Oberste Priorität müsse daher sein, die Konflikte vor Ort zu lösen. Als Problem sieht der Brigadegeneral, der jetzt als neuer Stabschef der US-Armee nach Wiesbaden berufen wurde, wiederum das Wertesystem des Westens. „Schnell wird unsere Toleranz als Mangel an eigener Überzeugung ausgelegt. Die ständige Überprüfung der Strategie schwächt das Handeln“, folgerte er. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang sei, wie der Westen mit dem Prinzip der Religionsfreiheit umgehe. Rohrschneider wertete den IS-Terror als bedeutenderes und größeres Problem für Europa als die Flüchtlingsbewegung, die derzeit den Westen in das Spannungsfeld von Hilfsbereitschaft und Machbarkeitsgrenzen stelle.
Die Krim-Politik des russischen Staatsoberhauptes Wladimir Putin erläuterte Rohrschneider aus zwei Perspektiven und blickte dabei auch durch die „Moskau-Brille“. Dennoch sprach er deutliche Worte zum Einmarsch auf der Krim. Rohrschneider: „Russland hat damit erstmals seit 1945 Staatsgrenzen verändert und das Territorium eines anderen Staates annektiert“. Er wertete dies klar als eine Bedrohung der europäischen Friedensordnung. „Die Wieder-Herstellung dieser Ordnung ist eine unserer Haupt-Herausforderungen“, erklärte der General. EU-Politiker Elmar Brok pflichtete ihm bei und erinnerte an das Budapest Memorandum 1994 mit Aufgabe der atomaren Waffen seitens der Ukraine. „Russland hat einen klaren Vertragsbruch begangen“, befand Brok und rechtfertigte die Reaktion des Westens. Brok: „Wir haben uns entschlossen, keinen Krieg zu führen, aber den Aufbau vor Ort zu unterstützen und gleichzeitig den Aggressor zu sanktionieren“.
Seinen Vortrag schloss General Rohrschneider mit einem Clausewitz-Zitat, das die Frage aufwirft: wer ist Aggressor – möglicherweise auch derjenige, der sich mit Gewalt gegen ein aus seiner Sicht erlittenes Unrecht verteidigt? „Die Schuldfrage endgültig zu beantworten ist militärisch und politisch oftmals schwierig“, so Rohrschneider.
Befragt zu den Einsätzen der Augustdorfer Einheit im Ausland erklärte Rohrschneider, dass derzeit 17 Einsätze durchgeführt werden und 1.800 von 5.000 Soldaten darin aktiv seien. „Die Bundeswehr ist hier erheblich gefordert“, so Rohrschneider. Als in seinem Ergebnis „zwiespältig“ wertete er den Afghanistan-Einsatz; als einen Erfolg das Engagement im Baltikum. Die Werte der westlichen Welt in Wechselwirkung mit anderen Staaten sieht er als strategische Herausforderung: „Wir können uns gar nicht isolationistisch heraus ziehen“.
Gleichwohl sprach sich Elmar Brok auf Nachfrage eines Besuchers deutlich gegen einen Syrien-Einsatz zur Unterstützung Assads aus. Brok: „Syrien ist ein Vielvölker-Staat mit Religions- und ethnischen Konflikten. Wir werden die Soldaten der Bundeswehr nicht in eine Häuserschlacht nach Aleppo entsenden“.
Als Konsequenz auf die Ankündigung des künftigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump „nur denen zu helfen, die bezahlen“, so Brok sieht der EU-Politiker die Notwendigkeit zur Vernetzung der europäischen Verteidigungskapazitäten. Eine gemeinsame EU-Armee werten sowohl Brok als auch Rohrschneider als nicht realistisch. Rohrschneider: „Dem widerspricht der nationale Souveränitätsvorbehalt“. Wohl aber seien gemeinsame Strukturen und Materialbeschaffung anzustreben. Rohrschneider: „Dass eine wechselseitige militärische Integration sehr gut funktionieren kann, zeigt unsere Zusammenarbeit mit den Niederlanden“.
Zur Personallage der Bundeswehr konnte General Rohrschneider Positives vermelden. „Wir haben mit gut 90 Prozent Stärke in den Mannschaften weder Personal- noch Rekrutierungsprobleme – einmal abgesehen von speziellen Fachkräften wie Medizinern und IT-Spezialisten“, berichtete Rohrschneider.
Zur Frage der CDU-Kreisvorsitzenden Kerstin Vieregge nach einem möglichen Einsatz des Militärs bei innerhoheitlichen, bislang der Polizei vorbehaltenen Einsätzen erklärte der Brigade-General: „Ich sehe keinen Bedarf für die Übernahme polizeilicher Aufgaben“. Elmar Brok bekräftigte: „Wir müssen die Bundeswehr vor Überforderung schützen“.
Zum Abschluss richtete Kerstin Vieregge einen Appell an alle: „Wir sollten öfter einmal das Bewusstsein dafür schärfen, wie gut es uns geht. Das gilt es möglichst lange zu bewahren“.
Von Vieregge nach ihren ganz persönlichen Weihnachtswünschen für Politik und Militär befragt, erklärte Elmar Brok: „Ich wünsche mir ein Ende der post-faktischen Zeiten“. General Rohrschneider gedachte seiner Soldaten und erklärte: „Ich würde die Aufstockung des Verteidigungsetats begrüßen und den Soldaten, die Weihnachten im Einsatz sind, wünsche ich, dass sie gesund und heile zurück kommen“.