Lemgo. Angewandte Forschung für kleine und mittelständische Unternehmen – so beschreibt Pedro Rodrigues, Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts, die Smart Factory OWL. Direkt an die Hochschule OWL angegliedert, will sie Industrie 4.0 – die vierte industrielle Revolution – vor Ort umsetzbar gestalten. Die CDU Lippe informierte sich mit rund fünfzig Teilnehmern über das Praxis-Projekt. Im Anschluss sprach Bundestagsmitglied Thomas Jarzombek darüber, wie softwaregesteuertes Arbeiten das moderne Leben verändert.
Veränderung ist ein Stichwort, das auch Pedro Rodrigues in seiner Führung durch die Smart Factory OWL zahlreiche Male anführt. Rodrigues: „Digitalisierung ist ein ‚heißes Thema‘. Unsere Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jahren verändern. Das bedeutet aber nicht, dass Arbeitsplätze verloren gehen; sie sehen nur ‚anders‘ aus“.
Industrie 4.0 steht für den Logistiker, der auch in Lemgo an der Hochschule studierte, für mehr Flexibilität, die Transparenz der Arbeitsprozesse mit dem Ziel einer Fehlerquote, die gegen Null geht. Der Weg dorthin führt über die „Self Technology“ - die Maschine, die selbst ihre Daten erfasst, analysiert und sich im Anschluss auch selbst optimiert. „Papier macht die Arbeitsprozesse langsam“, ist sich Rodrigues sicher. Jeder Unternehmer müsse sich beim Blick auf sein Tagesgeschäft die Frage nach Wertschöpfung und Produktivität stellen. „Das Hochlohnland Deutschland kann sich keine Fehlerquoten bei seinen Produkten leisten“, so Rodrigues.
Als Beispiel aus der Praxis nannte er die Nachfrage eines Mittelständlers, dem aufgefallen war, dass die Maschinen in der Nachtschicht regelmäßig weniger produktiv arbeiten als in der Tagschicht. Mit einem sogenannten „Industrie Bus“ können die Daten der Maschinen ausgelesen und die Fehlerquellen optimiert werden. „Natürlich muss sich Industrie 4.0 mit all ihren Möglichkeiten auch für den Unternehmer rechnen“, konstatierte Rodrigues.
Beim Gang durch die Halle erlebten die Besucher die neuesten Technologien. Sascha Heymann, ebenfalls Mitarbeiter am Fraunhofer-Anwendungszentrum Industrial Automation, zeigte z.B. die Möglichkeiten eines kollaborativen Roboters im Einsatz sowie einen Arbeitsplatz mit einem Assistenzsystem, das Einarbeitungsphasen in komplizierte Fertigungsprozesse mit Hilfe von Projektionstechniken und entsprechender Sensorik so weit unterstützt, dass der neue Mitarbeiter eine komplexe Aufgabe sehr schnell erlernen kann.
Im Anschluss an die Führung beantwortete Rodrigues die Fragen der CDU-Mitglieder, die vor allem auf zwei Schwerpunkte abzielten: Welche Qualifizierungsmaßnahmen benötigt die Jugend, um fit zu sein für Industrie 4.0? „Können Berufsschulen dies umsetzen“, fragte Kerstin Vieregge, CDU-Kreisvorsitzende. An das Ende des Arbeitslebens geschaut, stellte sich im Kreis der Besucher auch die Frage, ob ältere Arbeitnehmer mit dieser Entwicklung Schritt halten können.
Referent Thomas Jarzombek leitete seinen Vortrag mit einer der Region schmeichelnden Feststellung ein: „OWL macht in Sachen Digitalisierung und Industrie 4.0 von sich reden“. Gleichwohl stellte er die Frage nach der Bereitschaft zur Öffnung für diese Entwicklung: „Es ist notwendig, Produktionsprozesse und bislang firmeninterne Daten offenzulegen. Ist der Maschinenbauer dazu bereit?“ Standards für Internetsicherheit setze das im letzten Jahr erlassene IT-Sicherheitsgesetz. 100 zusätzliche Mitarbeiter beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik werden dafür eingestellt. Diese Zahl wurde von den CDU-Mitgliedern kritisch hinterfragt: „Ist das ausreichend angesichts der Komplexität dieser Aufgabe?“
Den Anschluss an Industrie 4.0 will ein milliardenschweres Bundesförderprogramm für den Internetausbau ermöglichen. NRW, im Wirtschaftswachstum bereits Schlusslicht, stehe auch hier, so Jarzombek, an letzter Stelle: „Von den vier Milliarden Euro des Bundesprogramms werden in der ersten Vergaberunde in Mecklenburg-Vorpommern mehr als dreißig Projekte gefördert; in NRW lediglich vier“.
Ebenfalls kein Spitzenreiter sei Gesamt-Deutschland in Sachen Software-Entwicklung. „Das Internet-Entwicklungsgeschäft ist für die Banken in Deutschland völliges Neuland“, stellte Jarzombek fest und fragte sich, ob Paypal-Gründers Elon Musk, der das weltweit erfolgreichste Online-Bezahlsystem aufbaute nachdem er zuvor mit drei anderen Projekten scheiterte, in Deutschland überhaupt diese vierte Chance gehabt hätte.
„Aber nur mit neuen Unternehmen kommen wir bei Wirtschaft 4.0 vorwärts. Wir in Deutschland sind ein Hardware-Ingenieur-Land. Aber wir brauchen Software-Entwickler und neue Gründer auf diesem Gebiet“, forderte Jarzombek und erläuterte ein Programm, das jetzt fünf Milliarden Euro Risikokapital für genau diese Gründungen zur Verfügung gestellt hat. Verbesserungsbedarf sieht Jarzombek auch beim durchschnittlichen IT-Nutzer. „Zwei Drittel aller mittelständischen Unternehmen investiert jährlich weniger als 10.000 Euro in IT-Technologien“, kritisierte er.
Der Grundstein für diese reservierte Haltung gegenüber der Internet-Technologie werde bereits in der Jugend gelegt. Jarzombek: „In der Schule gibt es viel zu wenig Zugang zu digitalen Medien. Ich weiß nicht, warum Deutschland sich hier so schwer tut. IT ist heute ein Wissensinstrument“.
Die große Angst der Menschen, dass Computer Arbeitsplätze vernichten, konnte Jarzombek ausräumen: „Es gibt derzeit in der Bundesrepublik Deutschland so viele Arbeitsplätze wie nie zuvor und trotz Einführung der Industrie 4.0 werden es jährlich rund 400.000 mehr“.
Die CDU-Kreisvorsitzende Kerstin Vieregge erklärte nach der angeregten Diskussion mit dem Referenten: „Insgesamt ist die Entwicklung hin zu Industrie 4.0 eine Chance, die das Leben erleichtern wird. Wir sind stolz, hier am Standort Lemgo am Puls der Entwicklung zu arbeiten. Das zeigt mir einmal wieder: wir sind nicht das verschlafene Lipperland, sondern eine Zukunftsregion“.